Mittwoch, 20. Oktober 2010

Fragen der Kulinarik - des Diskurses dritter Teil - Technik

Einlegen in Essig, Marinaden oder Alkohol
Bei vielen Lebensmitteln erfolgt dies zur Haltbarmachung oder Konservierung, die mit einer geschmacklichen Veränderung einhergeht. Marinaden im Speziellen dienen dem Würzen und Aromatisieren, was oft bei der Fleischzubereitung angewendet wird

Salzen und Säuern
Diese Form der Verarbeitung kommt für viele Fleisch- und auch Fischprodukte in Frage. Das Salz entzieht dabei dem Gewebe Flüssigkeit, das anschließende Säuern sorgt für das Denaturieren der Eiweißmoleküle.

Garen
Dies umfasst vielerlei Arten der Zubereitung, welche die Struktur von Nahrung durch physiko – chemische Prozesse verändern. Gemeinhin wird dies mit dem Zuführen von Hitze gleichgesetzt, durch die sich beim Gargut eine Lockerung der Gewebsstruktur, Eiweißgerinnung oder auch Verkleisterung von Stärke einstellt. Hervé This, ein französischer Physiko – Chemiker,  der am Collège de France in Paris über die molekularen Grundlagen des Kochens forscht, hat aber gezeigt, dass auch dann Vorgänge des Garens ablaufen, wenn Essenwaren extremer Kälte ausgesetzt werden, beispielsweise in der Form flüssigen Stickstoffs mit -196°C. Nach der hier erfolgten Definition ist aber auch das Gelieren durch den Einfluss von Ionen ein Garprozess, welcher im Kontext dieser Betrachtung jedoch den Methoden der Avantgarde zugeordnet wurde, wie auch das Arbeiten mit flüssigem Stickstoff.

Garen mittels Hitze
Hier muss unterschieden werden zwischen dem Feucht- und Trockengaren.

Feuchtgaren geschieht stets unter der Beteiligung von Wasser und umfasst das Kochen, Dämpfen, Dünsten, Garziehen bzw. Pochieren, Garen unter Druck, Niedertemperaturgaren, Garen Sous Vide und das Sieden. Beim Kochen von Wasser wird noch untergliedert in Simmern und Wallen. Wallen oder sprudelndes Kochen ist durch das heftige Aufsteigen von Blasen, entweichenden Wasserdampf und dem natürlichen Durchmischen des Garguts gekennzeichnet, während dieses beim Simmern im Wasser ruht
.
Die erzielten Temperaturen all dieser Methoden reichen von ca. 45°C+ beim Niedertemperaturgaren bis hin zu etwa 120°C beim Kochen unter Druck im Schnellkochtopf. Alleiniges Feuchtgaren kommt meist bei pflanzlichen Produkten zur Anwendung, da es kaum  zur Entstehung von Röstaromen kommen kann, welche bei der Fleischzubereitung erwünscht sind.

Besonders interessant ist hierbei das Garen Sous Vide, als unter Vakuum, bei dem das Gargut in einen Folienbeutel gegeben wird, welcher dann unter Entzug der Restluft versiegelt wird. Das gut wird dann in einem Wasserbad bei kontrollierter und konstanter Niedrigtemperatur gegart. Damit lassen sich sowohl tierische als auch pflanzliche Produkte perfekt zubereiten. Die Aromen bleiben alle in diesem geschlossenen System – dem Beutel – erhalten, was diese Garmethode heute zum Standard in der gehobenen Küche macht, zumal man auch Sous Vide Schmoren kann.

Trockengaren erfolgt immer ohne die Zugabe von Wasser, mittels Übertragung von Hitze durch direkten Kontakt, Konvektion bzw. Heißluft, beidem kombiniert oder durch das Bad in heissem Fett. Die traditionell etablierten Arten sind das Braten in der Pfanne, das Sautieren, Grillen, Frittieren sowie das Braten oder Backen im Ofen. Das Sautieren ist dem Braten sehr ähnlich, erfolgt nur bei höherer Temperatur und in einer Sauteuse, einer speziellen Pfanne mit hohen Flanken.

Auffällig ist, dass es beim trockenen Zubereiten auch eine Form des Garens bei niedriger Temperatur von ca. 50°C bis 80°C gibt. Allgemein aber reicht die Hitzezufuhr bei diesen Vorgängen von etwa 140°C beim Braten bis über 350°C beim Grillen. Damit kommt es hier auch zum Ablauf der Maillard – Reaktion und dem entstehen entsprechender Aromen.

Daher werden trockene Garverfahren gerne für Fleisch genutzt, ferner profitieren auch Backwaren von den hohen Temperaturen. Eine hier noch nicht genannte, trotzdem wichtige Methode der Veränderung von Lebensmittel mittels Wärme ist das Trocknen bei geringen Temperaturen. Hierdurch erfolgt ein Entzug des Wassers wodurch sich der Geschmack und die Haltbarkeit von Rohprodukten nachhaltig intensiviert bzw. verlängert. Dies wird sowohl für tierische als auch pflanzliche Nahrung angewendet.

Darüber hinaus gibt es noch das Schmoren, das eine Kombination der trockenen und feuchten Zubereitung darstellt. Es kommt hier zum Anbraten in der Pfanne mit anschliessendem Flüssigkeitsaufguss, worin das Schmorgut vollendet wird. Als weitere Sonderform ist die Mikrowellengarung zu nennen. Diese eignet sich zum Erhitzen wasserhaltiger Lebensmittel, was gleichzeitig an jeder Stelle erfolgt. Hierbei treten die selben Veränderungen wie beim Kochen auf, was durch die Molekülbewegungen im Gargut passiert, welche die Mikrowellen initiieren. In der Spitzengastronomie ist der Einsatz der Mikrowelle nicht sehr verbreitet, da eine genaue Prozesssteuerung durch viele Unschärfefaktoren nur schwer möglich ist.

Methoden der Avantgarde

Garen mittels Kälte
Das starke Herunterkühlen von Lebensmitteln wird in der Industrie meist zur Transport- und Langzeitkonservierung von frischen Produkten genutzt. In der Gastronomie kam Kälte bisher nur im Bereich der Desserts, für Eis oder anderweitige gekühlte Menükomponenten in Frage, wobei hier nicht im Temperaturbereich des flüssigen Stickstoff gearbeitet wurde. Dessen -196°C haben Möglichkeiten im Umgang mit Speisen eröffnet, die die Chefs der modernen Kochkunst im so bezeichneten Verfahren des Cryo Kochens nutzen, um Gerichte in kreativ neuartiger Form auszuführen. Zur Speisenverarbeitung gibt man die zu gefrierende Masse unmittelbar in den Stickstoff oder deckt dessen Gefäss mit einer Aluminiumplatte ab, wodurch eine Art Kälteherd entsteht. Die Tiefsttemperatur bewirkt nun ein direktes Kontaktgefrieren nahezu jeder Substanz.
Anwendung findet dies, um z.B. Öl als kühlen Lutscher oder mit grießähnlicher Struktur servieren zu können. Obst und Gemüse lassen sich schockgefrieren, wobei die unerwünschte Bildung von Wasserkristallen ausbleibt und daher die Ware auch nach dem Auftauen unversehrt ist. Fasersegmente des Fruchtfleischs von Zitrusfrüchten und anderen Obstsorten lassen sich so für weitere Verarbeitungen separieren. Das Bereiten von Speisen mit fester, kühler Hülle bei gleichzeitig weicher und schmelzender Konsistenz im Inneren wird auch möglich.

Geräteseitig bzw. technisch betrachtet ist die Handhabung des Extrems flüssiger Stickstoff unkompliziert, wenn man ein paar Grundsätze bezüglich der Sicherheit bzw. des Umgangs beachtet. Man benötigt für den Transport und die Arbeit thermisch isolierte Gefäße, die man sich wie Thermoskannen vorstellen muss. Sie bieten Schutz gegen das Durchfrieren der Unterlage und verzögern das Verfliegen des Gases, was bei Zimmertemperatur zu schnell erfolgen würde, als dass man sinnvoll arbeiten könnte. Des Weiteren sollte die Küche gut belüftet sein. Bei längerem oder andauerndem Hautkontakt kommt es zu Verbrennungen und Taubheit, was in seiner Konsequenz eine aufmerksame Durchführung des Garens mit Stickstoff erfordert. Zudem sollte man eine entsprechende Schutzkleidung, wie Handschuhe und eine Schutzbrille, tragen. Dieses Bewusstsein ist aber auch im Umgang mit heißem Fett gegeben, welches auch zu Verbrennungen oder schlimmeren Verletzungen führen kann.

Garen mittels Ionenzufuhr
Hierbei handelt es sich um einen Gelierprozess, bei dem in einer Flüssigkeit, wie einer Sauce, Reduktion, Brühe oder einem Saft, ein Geliermittel aufgelöst wird, das aus Algen stammt. Diese Alginat genannte Zutat gart – verändert also die Struktur – erst dann, wenn sie in Kontakt mit positiv geladenen Ionen von Kalium oder Kalzium kommt. Gibt man eine Menge Alginatlösung in ein mit Ionen angereichertes Wasserbad, verfestigt sich diese von Außen nach Innen, wodurch sich eine Geleekapsel bildet. Deren Hülle ist von elastischer Struktur, während das Innere flüssig bleibt. Unterbrochen wird der Garprozess durch die Entnahme der so genannten Sphäre aus dem Ionenbad. Anschließend wird sie in Wasser neutralisiert und kann serviert werden. Der Name leitet sich von sphere ab, der englischen Entsprechung für das deutsche Wort Kugel. Die Bezeichnung dieser kulinarischen Technik erfolgt jedoch in spanischer Sprache – Sferificación. Der gesamte Prozess ist auch umgekehrt möglich. Man gibt also eine Lösung mit Ionen in ein Alginatbad, wobei sich dann die Hülle an der Grenzfläche der beiden Flüssigkeiten bildet. Der Name dieser Umkehrung ist schlicht Sferificación Inversa. Beide Anwendungen erfordern neben den entsprechenden Zutaten nur einen Dosierlöffel zur Definition der Größe der Kapsel und einen siebartigen Abschöpflöffel. Relevant für den Speisenden ist das Erlebnis des Aromas der Flüssigkeit, was sofort nach dem Biss auf den Geleemantel auf der Zunge frei wird und für einen intensiven Geschmack sorgt.

Garen unter Vakuum
Dieser Prozess entspricht allen normalen Gararten, mit dem Unterschied, dass sie im Vakuum ablaufen, wodurch die Reaktionstemperaturen der Prozesse gesenkt werden und damit nahezu alle Aroma und Vitalstoffe des Garguts erhalten bleiben.

Methodiken zur Veränderung der Repräsentation
Unter diesem Punkt ist Weiteres und dabei weniger technologisch Orientiertes zusammengefasst, was in der Avantgarde – Küche dennoch methodisch zur Anwendung kommt, um Produkte mit einer neuartigen Präsenz zu versehen. Wenn man es genau nimmt, ist all dies eine wichtige Grundlage des Prinzips der Verfremdung, wobei man auch Dekonstruktion und Rekonstruktion sagen könnte, was bereits schon im Teil der Untersuchung der Sensorik erwähnt worden ist. Zu nennen wären hier Zutaten pflanzlichen Ursprungs, die zur Veränderung der Textur eingesetzt werden, da sie sich gegenüber bekannten Produkten, wie der rein exemplarisch zu nennenden Gelatine auf Seiten der Geliermittel, durch andere Eigenschaften auszeichnen. So ist es beispielsweise möglich, heiße Gelees, pulverförmiges Öl, Käse in Form einer Wolke und viele weitere Ideen auszuführen. Ebenso die als Espumas bekannt gewordenen Schäume zählen hierzu.

Methodiken zur Aromentrennung

Um aus Kräutern und anderen Lebensmitteln Aromen zu extrahieren und so als Essenz zu gewinnen gibt es neben Prozessen wie der Gelatine- oder Agar-Klärung auch technische Geräte. Ein Rotations – Evaporator ist solch ein Werkzeug und kann dazu dienen, aus Lösungen Aromen zu gewinnen bzw. abzutrennen. Diese sollten in ihrer küchenseitigen Anwendung aber wohl dosiert eingesetzt werden.

Direkte Aromatisierung
Der Bedeutung des Geruchs für die Geschmacksimpression sind sich die meisten Köche der Spitzengastronomie bewusst und nutzen dies aus. Einerseits indem sie Rauch- bzw. Räucheraromen erzeugen, diese unter einer Glasglocke auffangen und dann beim Servieren frei werden lassen, um so beispielsweise gedünsteten Fisch noch eine typische Rauchnote von bspw. Buchenholz zu geben. Zum direkten Räuchern werden elektrische Pfeifen und trockene Pflanzenbestandteile benutzt. Im amerikanischen Restaurant moto, wo Homaro Cantu kocht, werden Aromaten per Laser verdampft.

Eine andere Form wäre wiederum der Einsatz eines Vakuums zur Infusion von Geschmacksträgern. Hier wird unter 100°C zunächst etwas Wasser einer Rohware verdampft, so dass ein Unterdruck in den Zellen entsteht – die Ware ist dehydriert. Stellt man nun den atmosphärischen Druck wieder her, saugen die Zellen einem Schwamm gleich die Umgebungsfeuchtigkeit auf. In der Küche ist diese dann eine Brühe oder Aromaessenz, was im Endeffekt zur Aromatisierung per mikrofeiner Infusion führt. Aber auch zu Hause lässt sich eine leichte direkte Aromatisierung erzeugen, indem man das gewünschte Produkt mit einer Aromatenlösung mit einem in einen Folienbeutel gibt und dann mittels eines Vakuumiertgeräts die Luft aus dem Beutel entzieht. Es entsteht nach dem erneuten Öffnen des Beutels eine leichte Sogwirkung, welche die Aromatisierung bewirkt. Zudem lässt sich so die Textur von Obst verändern. Melonen kann man mit dieser Technik pressen, was ihr Aroma verdichtet und den Biss verbessert.

Diese Prozesse werden in der Zukunft sicherlich noch erweitert werden, neue Teckniken und Methodiken kommen hinzu. Daher kann dieser Teil des kulinarischen Diskurses nur unvollständig bleiben, was aber kein Makel ist, sondern eine Chance, den Dialog zu befeuern, sich mit dem Kochen und des Essklutur auseinanderzusetzen! Eben ganz im Sinne des Genusses! 

Fragen der Kulinarik - des Diskurses dritter Teil - Technik

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – so könnte das Motto dieses Teils meiner Betrachtungen der Fragen des Geschmacks lauten.

Ging es im vorigen Part eher um die Aspekte der Freude am Essen, soll hier die Arbeit im Fordergrund stehen. Dabei ist zu sagen, dass der eingangs zitierte, oft sehr einfältig gebrauchte Spruch vollständig in Bezug zum Essen interpretierbar ist. Diesbezüglich vermag er es, die Seite des Vergnügens gut vorstellbar zu machen, die Arbeit aber nur in ihrer Rolle zu verorten, ohne jedoch ihren Umfang zu definieren. Die Arbeit in der Küche ist das Kochen – das Kochen als kulturelle Technik. Da diese Tätigkeit aber nicht immer für jedermann zu bewältigen ist, wurde ihr Anbieten gegen Geld zur Grundidee der Gastronomie, wodurch das Kochen hier also eine herausragende Stellung einnimmt.

Kochen ist nicht kochen!

Bezüglich der Bedeutung des Wortes Kochen bzw. kochen besteht in unserer Umgangssprache einen ebensolche Unschärfe wie beim Term Geschmack. Vom lateinischen coquere als etymologischen Ursprung ausgehend, ist kochen mit sieden und reifen gleichzusetzen. Es bezeichnet dabei das Erhitzen einer Flüssigkeit bis zu deren Siedepunkt. Im eigentlichen Verständnis aber umklammert das Kochen den ganzen Prozess der Verarbeitung von Nahrungsgütern zwecks Zubereitung eines Essens.

Wesentliches Kennzeichen dieses Vorgangs ist es, Rohprodukte mittels einer geeigneten Technik vom Naturzustand in eine genieß- und verdaubare Form zu bringen. Insofern kann man auch einen Rohkostteller, bei dem nur Gemüse oder Obst gewaschen, geschnitten und eventuell noch mit Aromaten verfeinert wurde, als gekochtes Mahl bezeichnen. Dieser Teil der Wortbedeutung soll hier außen vor gelassen werden und eine Konzentration auf jene Vorgänge des Kochens erfolgen, die durch physikalische bzw. chemische Abläufe gekennzeichnet sind und Lebensmittel strukturell sowie gustatorisch verändern. Dadurch wird Nahrung nicht nur leichter verwertbar für den Organismus, sondern ein regelrechter Labsal für die Seele. Warum das so ist, soll dieser Bericht klären und insofern auch ein Labsal für Sie – den interessierten Leser – sein.

Entdecke die Möglichkeiten
Die zum Abschluss des Vorworts aufgeworfene These, dass ein Lebensmittel durch seine Verarbeitung zu einem regelrechten Seelenstreichler avancieren kann, lässt sich an einem ganz alltäglichen Vorgang illustrieren – dem Toasten.

Eine Scheibe Weißbrot ist in ihrem normalen Zustand relativ reizlos. Erst durch das Toasten entfaltet sie ihre Attraktivität. Optisch nehmen wir dies als leichte Bräunung wahr, sensorisch als krossen Biss und geschmacklich als Röstaromen. Hinter all dem steht die Maillard – Reaktion, bei der durch Hitze Eiweiße mit Kohlehydraten reagieren und für die deutliche Aufwertung der Weißbrotscheibe sorgen. Intention jeder Tätigkeit eines bewusst Kochenden ist es also, durch die Zubereitung Nahrungsprodukte in ihrer Wertigkeit zu steigern, neue Texturen, Aromen, usw. zu erzeugen. Wobei dies in der Spitzengastronomie eine extraordinäre Stellung einnimmt. Einerseits, weil das Niveau der Küche und deren Renommee in direkter Proportionalität zum Gradmaß der Steigerung des Genusserlebnisses für den Gast steht. Andererseits, weil die verwendeten Rohwaren meist teuer sind und daher unter rationellem Einsatz in der Weise verarbeitet werden sollen, die dem gewünschten Ergebnis am besten gerecht wird.

Die Molekular – Küche unterstützt dies, in dem sie die Abläufe der Küche genauer erläutert und durch innovative Technologien ergänzt. Aktuell wird so der Vorgang des Kochens einer Revision unterzogen, in dessen Folge er verständlicher, zielgerichteter, steuerbarer und innovativer werden kann.

Wobei dies aber keinen Automatismus darstellt und das Ausmaß dessen immer noch vom Können, Fühlen und Kreieren des Kochs abhängig ist – auch in der Avantgarde - Küche. Der Chef bestimmt, welche der ihm gebotenen Möglichkeiten er anwendet, um Produkte in einer neuartigen Form erleb- und präsentierbar zu machen. Allgemein am bedeutsamsten ist hierbei die Technik des Garens mittels Hitze. Weniger relevant, aber der Vollständigkeit halber zu erwähnen, sind das Salzen und Säuern sowie das Einlegen in Essig, Marinaden oder Alkohol. In der Avantgarde – Küche kommen darüber hinaus noch die experimentellen Arten des Garens, der Eigenschaftsveränderung und direkten Aromatisierung hinzu.

Fragen der Kulinarik - des Diskurses zweiter Teil - Sensorik

Akustische Wahrnehmung

Der vermeintlich beim Essen am wenigsten geforderte Sinn ist das Hören.
Ideal lässt sich sein Einfluss am Beispiel eines Snacks beschreiben –
dem Chip. Dieser soll ein krachendes Geräusch auslösen, wenn man ihn zu
sich nimmt. Diese Erwartung steht eng in Relation mit seiner Optik und
trockenen Struktur bzw. Textur. Entspricht ein Chip nicht diesem Muster, kracht also nicht beim Kauen, dann empfindet man ihn als fade.



Sensorisch-texturelle Wahrnehmung

Dies bezeichnet hauptsächlich den Tastsinn, durch den wir die Merkmale
von Nahrungsmitteln identifizieren können, die wesentlich von deren
physikalischen Eigenschaften abhängig sind. Insbesondere der
empfindliche Mundraum, wo vielfältige sensorische Erfahrungen wie fest, flüssig, weich, knusprig, viskos, zäh,
schmelzend, usw. gemacht werden, spielt hierbei eine sehr wichtige
Rolle. Die Textur oder Konsistenz, also wie sich etwas auf der Zunge anfühlt,
ist ein grundlegender Faktor bei der Beurteilung dessen Qualität. Im
menschlichen Wahrnehmungsmuster ist aus dem Sammeln von texturellen
Eindrücken, welche dann spezifisch mit einem Nahrungsmittel verknüpft
werden, die Erwartungshaltung diesem gegenüber geprägt.



Optische Wahrnehmung

Das Auge isst mit – dieser Ausspruch verdeutlicht schon, dass der
Sehsinn zum Genuss beiträgt. Er vermittelt uns einen direkten und damit
intensiven ersten Eindruck von einem Essen oder einem Nahrungsmittel.
Ist es für unser Auge attraktiv, so sind wir eher geneigt zuzugreifen
oder zu kosten. Die Optik eines Essens wird hauptsächlich durch die
Zubereitung der Speisen, deren Farbe und Komposition beim Anrichten
bestimmt. Da Farben starke emotionale Trigger sind, haben sie großen
Einfluss auf das Genussempfinden. So lehnt der Mensch instinktiv Nahrung ab, wenn sie in ungewohnten Farben wie Grau
oder Violett serviert wird. Hinzu kommt hier auch wieder die Erwartung,
was als Ansatzpunkt für das Prinzip der Verfremdung genutzt wird. In
einem wissenschaftlichen Experiment wurden 2 Proben eines Weißweins
verkostet, wobei eine davon rot eingefärbt worden war. Die Tester schrieben dann den beiden Weinen ihrer farblichen Erscheinung
entsprechend die jeweils typischen Aromen zu – die für Weißwein das
eine und die für Rotwein das andere Mal.



Temperatur

Die Temperatur von Lebensmitteln ist in mehrerlei Hinsicht sehr
bedeutsam. Vieles, was man zu sich nimmt, besitzt nur dann einen Reiz,
wenn es heiß oder zumindest warm ist. Schwarzer Kaffee wäre hier zu nennen, dessen Aroma im kalten Zustand
sinkt, da die Bitternoten übermäßig in den Vordergrund treten.
Erfrischungen hingegen, die der Kühlung wegen getrunken werden,
verlieren warm jegliche Begehrlichkeit. Generell sind der Geschmackseindruck und die Aromenentfaltung stark von der Temperatur abhängig. Ist es schwer, bei eiskalten Speisen sofort eine bestimmte Note
wahrnehmen zu können, so wird es umso einfacher, wenn sich diese etwas
im Mund erwärmt haben. Warmes oder leicht heißes Essen offenbart demnach
sofort seine kulinarische Güte, da unsere Sinne von Beginn an
aufmerksam sind. Überhaupt sind Mahlzeiten, welche nahe der eigenen
Körpertemperatur liegen, in ihrer gustatorischen Wahrnehmbarkeit
leichter für uns zugänglich. Der Aggregatzustand steht auch in Abhängigkeit von der Temperatur. Sie
ist bestimmend, ob die Nahrung eher flüssig, fest oder auch gasförmig
ist, ob etwas geliert, schmilzt oder gefriert. Darüber hinaus ist ihre Veränderung eine grundlegende
Voraussetzung für viele Abläufe in der Nahrungsverarbeitung, da es
hierbei zu physikalischen bzw. chemischen Prozessen kommt, die die
Nahrung hinsichtlich ihrer Struktur, Optik, Akustik und nicht zuletzt ihres Geschmacks verändern. Damit stellt das Spiel mit der
Temperatur eine weitere interessante Technik in der Küche dar.



Gustatorische Wahrnehmung

Dies bezeichnet den eigentlichen Geschmackssinn, der sich durch 6
Qualitäten definiert, welche süß, salzig, sauer, bitter, umami – für
fleischig, herzhaft – und fettig sind, wobei letztere erst 2005 durch
französische Forscher entdeckt wurde. Die Aufnahme dieser Reize erfolgt über die Papillen. Dies sind Rezeptorzellen, die sich im
gesamten Mundraum einschließlich des Gaumens, vor allem aber auf der
Zunge befinden. Die häufig ebenfalls als Geschmacksreiz bezeichnete Schärfe ist
eigentlich eine Schmerzreaktion der Zunge auf Capsaicin, ein in Chillies
und Pfeffer vorkommender Stoff. Die 6 Grundrichtungen beeinflussen sich wechselseitig, was in der
Erstellung von Rezepten genutzt wird. Geringe Mengen Salz bewirken
beispielsweise eine Verstärkung von Süßem. Die gustatorische Wahrnehmung selbst wird oftmals mit Aroma verwechselt.
Für dessen Aufnahme ist das olfaktorische System verantwortlich.
Tatsächlich macht der Geschmackssinn insgesamt nur etwa 20% dessen aus,
was man als Genuss, Geschmack oder eben dem Erlebnisse von Delikatesse bezeichnet. Nahezu 80% sind demnach das Aroma bzw. der Geruch.



Olfaktorische Wahrnehmung


Das Riechen ist im Zusammenspiel aller sinnlichen Vorgänge der
komplexeste und hat eine dementsprechend exponierte Stellung
hinsichtlich des Genießens. Der Mensch ist in der Lage, etwa 10.000
verschiedene Gerüche wahrzunehmen. Dies erfolgt über Rezeptoren, die auf
flüchtige Partikel reagieren und im Nasen- sowie Rachenraum sitzen. Der
Duft bzw. Geruch einer Speise setzt sich dabei aus einer Vielzahl
solcher Moleküle zusammen, die oftmals in Form von Estern oder
ätherischen Ölen auftreten. Zerteilt man Nahrung im Mund, lösen sich
solche Stoffe und werden umgehend über den Rachen in die Nasenhöhle
transportiert, wo sie von den Rezeptoren aufgenommen werden. Im Ergebnis
heißt dies, dass man selbst beim Kauen riecht. Interessant ist auch,
dass im Unterbewusstsein eine Filterung aller Impulse von Außen oder
auch Innen stattfindet, wobei dann viele Dinge einfach nicht mehr an das
Bewusstsein weitergeleitet werden. Das Unterbewusstsein vermag sogar, ganze Sinne durch eine Schutzfunktion
in Form eines Notausschalters zu deaktivieren. Einzig der Geruch ist
immer bewusst präsent und kann nicht unterdrückt werden. Der Duft eines Essens demnach auch nicht und daher kommt der Olfaktorik
die Schlüsselfunktion in der Küche zu. Ist man erkältet oder hat seinen
Geruchssinn durch Krankheit verloren, kann man zwar noch schmecken, ob
etwas süß, salzig, sauer, bitter, herzhaft oder fettig ist, jedoch kann
man keine Aussagen darüber treffen, was man da eigentlich isst oder ob
es schmeckt. Auch kann man erfühlen, ob etwas knusprig oder weich ist, ob heiss oder kalt. Da man aber nicht mehr in der Lage ist,
die jeweiligen Aromen und deren Balance zu identifizieren, sind diese
Informationen im Hinblick auf die kulinarische Gesamtgüte nahezu
wertlos.



Erwartungshaltung des Konsumenten

Ob man etwas genussvoll isst oder ob das, was auf dem eigenen Teller
liegt, als ungeniessbar empfunden wird, hängt nicht zuletzt von den
persönlichen Befindlichkeiten gegenüber der Speise ab. Ausschlaggebend
für die meisten kulinarischen Neigungen bzw. Aversionen sind dabei
genetische, vor allem aber kulturelle und soziale Kriterien. Von
Anbeginn der Existenz wird man durch die Umwelt geprägt, sammelt
Erfahrungen und adaptiert vorgelebte Verhaltensweisen, was einem im
Ergebnis dann zu dem mehr oder weniger individuellen Wesen werden lässt,
das man ist. Was allgemein gültig ist, trifft auch auf den Geschmack
zu.


Nimmt eine Mutter vanillehaltige oder ebenso aromatisierte Nahrung zu
sich, während sie ein Kind unter ihrem Herzen trägt, so entwickelt
dieses bereits dort eine unterbewusste Affinität für all das, was
Vanille enthält. Dies zieht sich durch das ganze Leben und man nimmt mit
der steigenden Akzeptanz für die Gerichte, die man angeboten bekommt,
die Esskultur an, in der man aufwächst. Man geht auf in dem
Geschmacksmuster der Regional- oder Nationalküche des Umfelds – dies
erklärt auch national sehr unterschiedliche Vorlieben.

Um es anders zu sagen, könnte man daher auch den hier verkürzt zitierten
Spruch Du bist, was du isst des französischen Philo- und Gastrosophen
Jean Anthèlme Brillat – SavarinV herumdrehen. Du isst, was du bist!
Insofern wird unsere gesamte Erwartungshaltung gegenüber dem Essen durch
genetisch bedingte und anerzogene Muster bestimmt.

Diese Muster gilt es natürlich zu hinterfragen. Dies wiederum ist auch genau das Element, das verschiedene Prinzipien auszeichnet, die den Genusses zu einer regelrechten Geschmackssensation steigern.



Komposition und Zubereitung

Da diese Komplexe eigene Grundproblematiken der Kulinarik darstellen und
demnach in den beiden folgenden Teilen dieses Exkurses noch
ausführlicher beschrieben werden, sollen sie an dieser Stelle nur der
Vollständigkeit halber kurze Beleuchtung erfahren. Es handelt sich hierbei nicht um soziale, kulturelle, physikalische oder
humanbiologische Faktoren, sondern um kreativitäts-, fähig- und
fertigkeitsbezogene. Insofern sind es auch die einzigen wirklich rational und objektiv
bewertbaren Einflussgrössen der Gustatorik. Eine Rezeptur und ihre
Umsetzung sind dann von hoher deliziöser Qualität, wenn es dem Koch
gelingt, alle Sinne auf verschiedenen Ebenen anzusprechen. Die Kombination vieler verschiedener Texturen kann solch ein Gericht
auszeichnen. Es kommt dann quasi Bissen für Bissen zu unterschiedlichen
Zusammenstellungen von sensorischen Erlebnissen, was für Abwechslung
sorgt und einen immer wieder neu fordert. Eine kurzweilige
Speisenabfolge ist eine andere Ebene, die ein gutes Essen ausmachen
kann, da die meisten Rezeptoren durch eine Adaption bzw. Sättigung zur
schnellen Abstumpfung neigen.



Konklusion

Unter Berücksichtigung aller Dinge, die hier angesprochen worden sind,
ist eine Sache noch einmal besonders hervorzuheben. Zwar nimmt man die
Reize beim Essen mit den Sinnen auf, jedoch sind sie nur Werkzeuge. Die
eigentliche Leistung, deren Resultat man im Idealfall als Befriedigung
spürt, erfolgt durch das Gehirn. Es setzt alle Wahrnehmungen zusammen
und gleicht sie mit den bis dahin erfahrenen Prägungen ab. Im Endeffekt gilt es bei allen Techniken und Methodiken, die von
modernen Köchen eingesetzt werden, das Hirn neu zu fordern und damit in
gastrosophischer Hinsicht zu fördern. Das gleiche Ziel also, was diese Reihe des kulinarischen Diskurses verfolgt – ganz im Sinne des Genusses!


Fragen der Kulinarik - des Diskurses zweiter Teil - Sensorik

Eine Speise genießen zu können, setzt zunächst einmal voraus, dass man sie gustatorisch mit seinen Sinnen erfassen kann. Dies ist der alleinige Schlüssel, um ihren Geschmack erleben zu können und schließlich zu einer Befriedigung über die Sättigung hinaus zu gelangen.

Doch – was eigentlich ist Geschmack im kulinarischen Verständnis? Welche Komponenten besitzt er und was hat Einfluss auf ihn bzw. auf die, die etwas schmecken? Diese Grundfragen der Sensorik sind für die Kulinarik von so fundamentaler Bedeutung, dass sie hier im zweiten Teil dieses Diskurses Gegenstand der Betrachtung sein sollen.

Es liegt was in der Luft...

Wissenschaftlich stark verkürzt ausgedrückt, ist der Geschmack der komplexe Sinneseindruck, der sich beim Essen einstellt. Dieser setzt sich biochemisch betrachtet aus den gustatorischen Reizen und sensorischen Empfindungen der Zunge sowie den olfaktorischen Wahrnehmungen des Nasen- und Rachenraumes zusammen.

Diese Definition allein greift aber für den Geschmack in seiner kulinarischen Bedeutung zu kurz, da sie es nicht vermag, das, was man als Erlebnis des Speisens bezeichnet, vollends zu beschreiben. Dieses ist in Einheit mit dem Genuss zu sehen und wird damit zu einer der wesentlichen Triebfedern des Kochens als kulturelle Technik. Daher besitzt das Erlebnis von Geschmack noch weitere Elemente und wird so zu einem vielschichtigen Gebilde.In dieser erweiterten Perspektive wird der Geschmack zum Gefühl für Qualität. Die sensitiven Referenzpunkte für die Küche werden dabei die Sinne des Konsumenten als Quell deren Emotionen. Ob eine Speise also deliziöse Güte besitzt, ist neben den bereits genannten Wahrnehmungen von Geschmack, Geruch und Textur auch abhängig von der Temperatur, den akustischen Merkmalen und der optischen Präsenz. Hinzu kommen die Komposition im Verständnis der Speisenauswahl und -verarbeitung sowie die dadurch ausgelöste bzw. grundsätzlich vorhandene Erwartung des Gastes gegenüber dem Essen. Letztere wiederum lässt das Initiieren eines Geschmackserlebnisses zunächst zu einem scheinbar schwer kalkulierbaren Vorgang werden, da sie doch biologischen und kulturell – sozialen Prägungen unterworfen ist, auf die man als Koch selten einen Einfluss hat. Gerade diesen unberechenbaren Aspekt aber nutzt die Avantgarde Küche als Ansatzpunkt der Genusssteigerung.

Hierzu müssen die eingefahrenen Wahrnehmungsmuster beim Kunden aufgebrochen und andere Perspektiven mit neuen Eindrücken geschaffen werden, um infolge dessen ebenso neue Emotionen auszulösen. Es gilt demnach, einen Moment der Irritation zu erzeugen, der den Essenden zunächst verwirrt, um dann in einem bis dahin ungekannten und gesteigerten Gefühl von Befriedigung zu enden. Dies könnte man als Prinzip der Verfremdung bezeichnen, bei dem man durch das Dekonstruieren tradierter kulinarischer Konzepte und deren Rekonstruktion im Sinn einer (R)Evolution eine Herausforderung für den Konsumenten erzeugt, in deren Bewältigung letztendlich neben dem Geschmackserlebnis an sich auch die Erweiterung seines kulinarischen Horizonts liegt. Um dieses eigentlich offensichtliche und dabei doch sehr subtile Vorgehen moderner Chefs noch besser fassen zu können, sollen die Einzelkomponenten der Komplexerfahrung Wohlgeschmack noch etwas genauer beschrieben werden.

Fragen der Kulinarik - des Diskurses erster Teil

Über Geschmack lässt sich nicht streiten!

Spätestens aber seitdem die Liste The World’s 50 Best Restaurants 2010 veröffentlicht wurde und hier das Restaurant Noma den Dauerbrenner El Bulli vom ersten Platz verdrängt hat, bricht er sich Bahn – der Streit um den Geschmack. Aber wie kann das sein? Darüber lässt sich doch nun wirklich nicht streiten… oder aber doch – und zwar trefflich!

Dass man über Geschmack nicht streiten kann, ist ebenso richtig wie falsch. Einerseits ist der Genuss, welcher sich beim Speisen einstellen soll, eine sehr individuelle Erfahrung, die von vielen persönlichen Faktoren abhängig ist und sich damit wirklich nicht eignet, Gegenstand eines Streits zu sein. Auf der anderen Seite gibt es aber auch objektiv erfass- und messbare Parameter, welche den Geschmack bestimmen, demzufolge ganz universellen Kriterien standhalten müssen und somit sehr wohl Gegenstand eines Streits werden können.

Liegt es im kreativen Können des Kochs verborgen, emotionale Gericht zuzubereiten, die jedem dazu verhelfen mögen, das Speisen genießen zu können, so liegt es in seinen erlernten Fertigkeiten und Methodiken, ebenso den rationalen Kriterien des Kochens vollkommen gerecht zu werden. Damit wird auch klar, dass jede Speise 2 Komponenten besitzt, welche sie ausmachen.

Wie angesprochen, gibt es hier den Teil, der vom Essenden erlebt wird und somit zu komplex ist, um als Grundlage einer Bewertung der Speise dienen zu können. Dem einen schmeckt es eben, dem anderen nicht. Der andere Teil aber, welcher allumfassend bewertbar ist, kann dies leisten und wird dabei weitestgehend durch die Kernfragen der Kulinarik erfasst. Nur so ist es überhaupt möglich, die Küche bzw. Gastronomie zu untergliedern und zu beurteilen – in einem Spektrum, das vom so genannten Junkfood bis hin zur Avantgarde reicht. Es geht hierbei also um die Fragen der Kulinarik. Es muss hier aber auch gesagt werden, dass nicht alle Aspekte dieser Fragen rein objektiv sind, es also immer wieder auch die Ausnahmen gibt, die sowohl individuelle als auch universelle Komponenten besitzen, was die nachfolgend aufgeworfenen Problematiken sehr komplex macht. Aber Komplexität regt wiederum den Diskurs an und darum geht hier und auch in den folgenden Teilen dieser Betrachtung: Die Auseinadersetzung mit dem Essen!

Soweit der Betrachtung erster Teil – und hier nun ein kleiner Ausblick auf die kommenden!

Fragen der Sensorik:
Was ist Geschmack? Welche Komponenten besitzt dieser?
Was beeinflusst ihn? Inwieweit ist dies allgemeingültig anwendbar?

Fragen der Methodik und Technologie:
Was bedeutet es eigentlich, Lebensmittel zuzubereiten?
Was sind hierbei die Methodiken und wie sieht deren
technische Umsetzung aus?
Welche Rolle nimmt dabei die Molekulare Küche ein?

Fragen der emotionalen Intelligenz:
Was bestimmt die Komposition einer Speise?
Wie ist dieses Wissen anwendbar?

Montag, 18. Oktober 2010

Fleisch?Los!

Fleischlos glücklich – diese Worte wertfrei auszusprechen, ist nicht einfach, ist es doch gerade das Fleisch, das in vielen Restaurants einen besonders wichtigen Part im Konzepts eines Menus einnimmt. Fleisch, das im individuellen Stil eines Kochs richtig zubereitet und entsprechend begleitet ist, ist für viele einfach ein Stück essbares Glück, ein Genuss eben.

Reflektiert man dies aber kritisch, gilt heute zunehmend: Fleisch polarisiert!

Hierbei geht es aber nicht nur um die meist oberflächlich geführte Debatte mit Vegetariern – nein, der Fleischesser muss sich zunehmend auch mit ethischen, sozialen und ökologischen Fragen auseinandersetzten. Massentierhaltung ist hier nur ein Stichwort. Sie geht einher mit einem zunehmenden Fleischkonsum, der wiederum mit der Erschöpfung von vegetarischen Lebensmittelressourcen das Hungerproblem der 3. Welt anheizt und obendrein maßgeblich zum Klimawandel beiträgt – zumindest wenn es um Rindfleisch geht. So ist das von Kühen ausgestoßene Methan weitaus schädlicher als das Kohlendioxid.

Eine Entschärfung dieser Debatte ist nur durch den kritischen und mündigen Konsumenten zu erlangen. Sein Bewusstsein der eigenen Esskultur und das Wissen über die Zusammenhänge von Produktqualität und einem entsprechenden Preis können hier positiven Einfluss haben. Und das ist auch im Sinne des Geschmacks!

Fleisch von Turbomasttieren ist weder fein marmoriert, noch kann es rassentypische Aromenprofile ausbilden, welche eng mit einer arttypischen Ernährung und Bewegung zu tun haben. Ein Eichelmastschwein wird nicht nussig schmecken, wenn es anstatt in Eichelhainen zu wühlen, nur Sojakraftfutter in einem Stall bekommen hat. Gutes Fleisch, das eben nicht aus der Massentierhaltung stammt, kostet eben mehr Zeit und Geld – und ist seinen Preis auch wert. Hier kommt nun die Esskultur zum Tragen, denn diese Wertigkeit sollte man auch in seinem Konsumverhalten widerspiegeln. Qualität geht vor Quantität! Nur so kann man auch das Genießen von etwas Besonderem erlernen. Nicht Öfter, dafür Besser. So würden auch die Ressourcen in der Fleischerzeugung geschont werden.

Zur Esskultur gehört auch das Essen im Restaurant und hier schließt sich nun der Kreis zum nicht fleischlosen Genuss. Jeder Chef, der Wert auf Qualität legt, folgt dem Prinzip der Nachhaltigkeit und serviert bestes Fleisch in einer bestmöglichen Verarbeitung. Er schafft so einen Raum von kulinarischer Qualität und bereitet nachhallende Moment von Genuss! In diesem Raum zu verweilen, ist Freude pur und diese genießt der Gast vielleicht nicht öfter, dafür jedes Mal besser und garantiert mit einer vegetarischen Alternative.

Reife[L]eistung

Perfektion beginnt im Kleinen! Dieser einfache Ausspruch könnte stellvertretend für den Anspruch stehen, den die moderne Spitzengastronomie an sich selbst stellt. Vielmehr noch könnte dieser Satz ihr Leitmotiv sein! Denn – wer es beherrscht, die Perfektion im Kleinen in ein Ganzes zu übertragen, eröffnet seinem Gast eine Welt sinnlichen Genießens. Freilich ist hierbei die Perfektion auf dem Teller immer noch das Wichtigste und sorgt letztlich für die Hmms und Achs, die dem Gast im Gedächtnis bleiben. Insofern ist also auch die Suche nach dem perfekten Geschmack eine zentrale Frage in der Gastronomie. Und deren Beantwortung beginnt bei der Qualität der Produkte und dem Wissen um deren Erzeugung.

Zur Verdeutlichung dessen soll hier ein Produkt in den Fokus gerückt werden, dessen perfekte Zubereitung multimedial geradezu zur Glaubensfrage ausgerufen wurde: das Steak! Genauer gesagt, soll es hierbei aber um die wesentlichen Aspekte von dessen Reifung gehen – ein Prozess, der maßgeblich die geschmackliche Qualität beeinflusst. 

Das Reifen ist ein natürlicher Prozess, bei dem enzymatische Verbindungen das Bindegewebe des Fleisches auflockern und es im Ergebnis zarter machen. Bei Rind- bzw. Steakfleisch sollte die Reifezeit mindestens 3 Wochen betragen. Generell gilt aber, dass jede Fleischsorte reifen muss, wobei die Dauer von der Art und Herkunft des Fleisches abhängig ist und nicht pauschalisiert werden kann. Abhängig davon, ob das Reifen an der Luft oder in einem geschlossenen Plastikbeutel unter Vakuum verläuft, unterscheidet man dry aging und wet aging.

Wet aging läuft unter kontrollierten Temperaturen zwischen 1 und 2°C in einem geschlossenen Plastikbeutel ab, idealerweise in einem Vakuumbeutel. Da das Fleisch, respektive Steak, beim wet aging nicht atmen kann, reift es in seinem eigenen Saft und verliert dementsprechend auch kaum an Flüssigkeit, also an Gewicht. Nach der Zubereitung macht sich dies in einer blutig-säuerlichen Note bemerkbar, was aber nicht unbedingt negativ sein muss.

Unter dry aging versteht man das Abhängen von großen Fleischstücken oder gar Tierhälften in Kühlräumen unter äußerst penibel einzuhaltenden Bedingungen. Die Temperatur sollte zwischen 0 und 1°C betragen. Ist es zu kalt, gefriert das Fleisch, ist es zu Warm verdirbt es. Zudem sollte eine Luftfeuchtigkeit von 50 bis 60 % vorherrschen und die Luft selbst stets zirkulieren. In dieser Atmosphäre kann das Fleisch atmen, verliert an Flüssigkeit – bis zu 25% des Gesamtgewichts – und reagiert auch mit Mikroben aus der Umgebungsluft, welche an der enzymatischen Zersetzung des Bindegewebes mitwirken. All dies bewirkt eine Konzentration des Aromas und damit sorgt für die ausgeprägt intensiv fleischige Note eines dry aged beef.

Vergleicht man beide Prozesse miteinander, so bietet das wet aging offensichtliche Vorteile und ist demnach auch der heutige industrielle Standard. Da man kaum Gewichtsverlust zu verzeichnen hat und auch kein so aufwendig zu betreibendes Kühlhaus wie beim dry aging braucht, spart es immense Kosten. Aber spart es auch an Geschmack? Nicht unbedingt, da dieser sehr subjektiv ist. Aber wer einmal ein Steak von einem dry aged beef hat probieren können – am besten natürlich aus der Küche eines wahren Könners – der kann erleben, was es heißt, Perfektion auf dem Teller zu haben. Dicht und intensiv breitet sich von Röstaromen begleitet ein Fleischgeschmack im Mundraum aus, der jeden Biss zum Erlebnis macht – eine Reife[L]eistung eben!

(Bedenkt man nun, dass hier die Qualität des Produkts in einem Prozess des Wirkens von Enzymen und Mikroben mitbestimmt wird, könnte man auch einfach eines sagen: Dem Kleinen entspringt die Perfektion.)